Haltung

Der Tod eines Muttertiers mit Nestlingen ist immer ein schwerer Moment im Züchterleben. Nicht nur fehlt ein hoffnungsvolles Zuchttier, darüber hinaus sieht man sich einer Schar hungriger Jungtiere gegenüber, die mit steigender Ungeduld auf ihre Milch warten. Ist keine geeignete Amme mit gleichaltrigen Jungen zur Hand, müssen die Kleinen künstlich aufgezogen werden. Sinnvoll ist das allerdings nur, wenn sie bereits von ihrer Mutter gesäugt wurden und somit die durch nichts ersetzbare Kolostralmilch (siehe unten) erhalten haben.

 Dieses Bild der Geduld beim Warten auf den Schoppen war bald Vergangenheit. Rasch begriffen sie, dass es neben dem Körbchen viel interessanter war.

Die künstliche Aufzucht ist nicht sehr schwierig, erfordert nur etwas Geduld und Zeit. Entschädigt wird man durch die Möglichkeit, Nestlinge und ihr Verhalten hautnah beobachten zu können. Es ist vorteilhaft, die Kleinen im Haus zu halten, damit sie gleichmässig warm haben und weniger Energie zur Erhaltung der Körpertemperatur aufbringen müssen.

 Die meisten Kaninchen lernen das Saugen am Schoppen recht schnell. Es gibt aber auch die „Kauer“, die sich damit auch noch nach Tagen schwer tun.

Als Milchersatz gibt es beim Tierarzt Combi-Lac, ein spezielles Milchpulver, das sich in der Aufzucht verschiedenster Tierarten gut bewährt hat. Dort erhält man auch praktische Miniatur-Schoppenflaschen. (Für Milchersatz gibt es auch verschiedene Hausrezepte, zum Beispiel: 1 Teil ungezuckerte Kondensmilch, 1 Teil Kamillentee, 3 Teile Kaffeerahm.)

Flaschenfütterung – lebensnotwendig und auch riskant

Die Milch muss in jedem Fall frisch zubereitet und lauwarm verabreicht werden! Alle Gerätschaften sind peinlich sauber zu halten; Milchreste sind ein guter Nährboden für Bakterien. Bei Kaninchen, die die Augen noch geschlossen haben, sind Glaspipetten von Tropffläschchen zur Fütterung praktisch. Sie sind kleiner als Schoppensauger und man kann die Milch zu Beginn langsam (!) ins Mäulchen hineinpressen. Schnell merken die Kleinen, dass sie daran saugen können, um zur Nahrung zu kommen. Die grösste Gefahr bei den ersten Fütterungen besteht darin, dass sich die Winzlinge verschlucken, also Milch in die Luftwege gerät und sich daraus eine Lungenentzündung entwickelt. Aus diesem Grund sollte man sich unbedingt genügend Zeit nehmen bis die Kleinen das Trinken ab Sauger begriffen haben.

 Sobald die Jungtiere Heu fressen, sind sie schon fast über dem Berg. Das Fell ist hier von Milch verklebt, aber die Kleinen putzen sich immer wieder gegenseitig.

Die anfänglich zeitraubenden „Milchbäder“ sind bald Vergangenheit und die Kaninchen entwickeln sich zu richtigen Schoppenprofis mit atemberaubender Trinkgeschwindigkeit - im wahrsten Sinn, denn durch zu schnelles Trinken kann sich eine gefährliche Trommelsucht entwickeln! Hastig trinkende Kaninchen unterbricht man aus diesem Grund besser ab und zu beim „Schöppelen“.

Der tägliche Freilauf im Zimmer ist von grossem Unterhaltungswert für Kaninchen und Betreuer und entschädigt für den Zeitaufwand.

Kaninchenmilch ist mit rund 15% Fett und 12,7% Eiweiss sehr gehaltvoll; unsere Ersatzmilch ist dagegen bloss ein „dünnes Süppchen“. Wir können zwar mit Kaffeerahm den Fettgehalt erhöhen, der Eiweissgehalt bleibt jedoch zu tief. Das heisst, dass wir mehrmals täglich füttern müssen und nicht wie die Kanichenmutter nur einmal pro Tag. Schafmilch ist ebenfalls gehaltvoll und würde sich somit zur Aufzucht von Kaninchen aufdrängen. Wir machten vor einigen Jahren damit allerdings schlechte Erfahrungen, denn sie scheint für Kaninchen teilweise unverträglich zu sein. Jedenfalls kam es damit nach zwei Wochen zu plötzlichen Todesfällen der jeweils kräftigsten Tiere, so dass wir von ursprünglich sieben Jungen nur vier durchbringen konnten. Combilac hingegen vertragen Kaninchen problemlos. Die Kleinen erhalten in der ersten Lebenswoche ca. 5 ml Milch pro Tag, verteilt auf mehrere Mahlzeiten, 2. bis 3. Woche ca. 10 – 15 ml Milch, 3. bis 6. Woche 25 – 30 ml Milch. Das sind nur grobe Mengenangaben, die je nach Milchersatz und Kaninchenrasse stark variieren können!

Zwei, die sich mögen: Kinder haben Geduld und helfen gerne mit bei der Rettung verwaister Jungtiere. Sie geniessen das Vertrauen, das die Schützlinge ihnen entgegenbringen. 

Nach dem Füttern massiert man Kaninchen, die erst wenige Tage alt sind, sanft die Bäuchlein, damit sie urinieren und winzige Kotbällchen ausscheiden. Die Kaninchenmutter macht das durch Lecken der Kleinen. Bei unseren zweiwöchigen Waisen war das bereits nicht mehr nötig.
 
Übergang zu fester Nahrung

Schon bald beginnen die jungen Kaninchen an ersten Heuhälmchen zu knabbern und im Alter von etwa drei Wochen kann man ihnen bereits einige Haferflocken anbieten. Diese sind leichter verdaulich als Gerste und werden gut vertragen; Weizen ist auf Grund seines Klebergehaltes in den Verdacht geraten, Verdauungsstörungen zu begünstigen. Nach ein paar Tagen mischt man ein wenig Kraftfutter unter die Haferflocken und steigert die Menge ganz allmählich.

 Grünfutter mit Mass fördert die Gesundheit, muss aber am Anfang mit Bedacht nach verdauungsstärkenden Kräutern ausgewählt werden (hier Beifuss, Spitzwegerich und Löwenzahn).

Den Übergang zum Grünfutterfressen schaffen die Tiere störungsfrei, wenn man mit ihnen eine Kokzidienkur durchführt (Sulka N) und zum Frischfutter immer genug gerbstoffhaltige Kräuter anbietet wie Beifuss, Frauenmantel, Wiesenknopf, Melisse, Eiche und Brombeere. (Gerbstoffe stärken die Schleimhäute des Verdauungssystems.) Banane und Fenchel sind für Jungtiere ebenfalls gut verträglich. Masshalten ist in dieser Phase wichtig; einzig Heu bietet man täglich in grosszügigen Mengen an. Viel Bewegung verhilft ebenfalls zu einer guten Verdauung; der tägliche Freilauf im Zimmer freut Jungtiere und Pfleger gleichermassen.

 
 
Text und Bilder: Ursula Glauser
Verwaiste Jungtiere

Kolostrum (Biestmilch) 

Dies ist die erste Milch, die nach der Geburt in den Milchdrüsen produziert wird. Sie enthält sechsmal soviel Eiweiss wie die nachfolgend produzierte Milch und vor allem Abwehrstoffe (Antikörper), die das Muttertier den Jungen als natürliche Schutzimpfung vor Krankheiten mitgibt. Eine weitere wichtige Aufgabe von Kolostrum ist die Umstellung des Verdauungstraktes von der embryonalen Ernährung via Blut auf Fressen und Verdauen: Die Schleimhaut, die Speiseröhre und Darm auskleidet, beginnt mit intensiven Zellteilungen. Der erste Schleim bildet sich und der Magen fängt mit der Produktion von Säure an. Der Dünndarm verliert seine anfängliche Fähigkeit, grosse Eiweissstoffe wie die bereits erwähnten Abwehrstoffe, zu absorbieren (absorbieren = über die Schleimhaut ins Blut aufzunehmen). Ein Neugeborenes kann also nur über einen kurzen Zeitraum von ca. 1 bis 2 Tagen diese Abwehrstoffe aufnehmen! Sichtbares Ergebnis dieser dramatischen Umgestaltung des Verdauungstraktes ist die Abgabe vom Darmpech, dem ersten Kot, der eigentlich kein Verdauungsprodukt ist, sondern eine Masse aus Haaren und Zellüberresten aus der Embryonalphase.